Hans-Peter Dürr: Das Lebende lebendiger werden lassen

Wir halten immer noch fest an einem veralteten mechanistischen Weltbild aus dem 17ten und 18ten Jahrhundert. Wahrscheinlich, weil das Modell so sehr erfolgreich war. Die Zeit der Industriellen Revolution und die Wende in eine Form des Kapitalismus brachten in ungeahnter Geschwindigkeit ebensolche Fortschritte. Der Auftrag der abendländischen Konfessionen „Macht Euch die Erde untertan“, konnte damit eingelöst werden. Die „Protestantische Wertethik und der Geist des Kapitalismus“, wie Max Weber darstellte, trug ihren entscheidenden Teil dazu bei. Die gegenwärtige Form des Kapitalismus ist meiner Einschätzung nach allerdings darüber bereits weithinaus. Von Ethik im Zusammenhang damit zu sprechen, ist mir nicht mehr möglich. Persönliche Macht und die Handhabe sich gnadenlos zu bereichern und zu bedienen, wurden damit möglich. Die Ökonomie unseres Planeten liegt in der Hand einiger weniger Konzerne und Banken und der Spielsucht der Börsenspekulanten, die zunehmend als Normalität ja sogar Notwendigkeit propagiert wird, um auch noch die letzten Cent in den großen Topf der Gier zu tröpfeln.

Einseitige Anklagen sind nicht meine Absicht. Natürlich bewundere und genieße ich auch viele der technischen Fortschritte und wende sie selbst an. Mein Anliegen ist es nicht, die Technik zu verteufeln, sondern ein Bewusstmachen der Haltung, die dahinter liegt und den Umgang damit. „Das Gefährliche ist nicht die Technik. Es gibt keine Dämonie der Technik, wohl dagegen das Geheimnis ihres Wesens.“ 1) So sehr ich Martin Heidegger für seine Sprachkreationen in „Sein und Zeit“ in meinem Studium verflucht habe, so sehr hat er Recht behalten. Wenn ich den Rhein nur noch als Transportweg für meine industriellen Güter sehe, und dabei ausschließlich meine wirtschaftlichen Komponenten in Betracht ziehe, interessiert es mich nicht, wieviel Feinstaub die Dieselmotoren der Lastkähne produzieren oder was mit den angrenzenden Infrastrukturen und den Lebewesen, die da zuhause sind passiert. Vor allem bemerke ich aber nicht, was mit meinem Denken passiert, welche Wege ich einschlage. Führen mich diese Wege in Bereiche der Selbsterkenntnis und näher an die Wahrheit oder verbergen Sie diese mit jedem Schritt.

Die Art und Weise wie wir etwas sehen und damit umgehen, ist der entscheidende Ansatz. Die Einheit mit allem ist Bestandteil vieler religiöser, spiritueller Anschauungen. Der Artikel von Hans-Peter Dürr nimmt erfreulich aus naturwissenschaftlicher Perspektive dieses Thema auf. Es ist der Abgesang auf das materielle Denken, das ein Bewusstsein der Trennung generiert. Hier werden die Grenzen durchlässig.

1) Martin Heidegger (1954): Vorträge und Aufsätze. Die Frage nach der Technik .Pfullingen: Verlag Günther Neske, S. 13-44.

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Hans-Peter Dürr © RH Hans-Peter Dürr
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Vortrag von Hans-Peter Dürr                          beim 8. Paracelsus-Symposium,                        2006 in Villach

In einer Diskussion mit Paul Watzlawik vor sieben Jahren in Klagenfurt ging es mehr um philosophische Fragen. Was können wir wirklich wissen? Was ist Wirklichkeit? Auch für unser heutiges Thema werde ich mit etwas Allgemeinem beginnen, das ich für wichtig halte, weil es die Grundlage unseres Denkens ist, auf deren Basis wir dann handeln müssen.
Ich bin nicht Theologe, sondern Naturwissenschaftler, und nicht nur Naturwissenschaftler, sondern einer von jenen Naturwissenschaftlern, die man Atomphysiker, Kernphysiker oder Elementarteilchenphysiker nennt. Der Atomkern ist für uns etwas ganz Großes – und wir sprechen vom wirklich Kleinen, noch dazu in einer ganz anderen Sprache als der gewohnten. Aber ich will selbstverständlich jetzt nicht in dieser Sprache sprechen, die nicht verständlich wäre, sondern die Erkenntnisse der Physik immer voraussetzen.
Drewermann hat mit dem Unbegreiflichen angefangen, das den Religionen zugrunde liegt. Ich fange…

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